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Woher  der  Brauch  der  Schultüte  so  genau  kommt,  weiß  man

               nicht  so  genau.  Die  ersten  Erwähnungen  von  Schul-  oder


               Zuckertüten gibt es wohl schon zum Ende des 18. Jahrhunderts.

               Begonnen hat alles in Thüringen und Sachsen. So nimmt auch in

               Erich Kästners Kindheitserinnerungen „Als ich ein kleiner Junge


               war“ die Schultüte eine prominente Rolle bei der Beschreibung

               seiner Einschulung in Dresden im Jahr 1906 ein:




                          „Die Eltern standen dichtgedrängt an den Wänden und in

                          den  Gängen,  nickten  ihren  Söhnen  ermutigend  zu  und

                          bewachten  die  Zuckertüten.  Das  war  ihre  Hauptaufgabe.

                          Sie  hielten  kleine,  mittelgroße  und  riesige  Zuckertüten  in

                          den  Händen,  verglichen  die  Tütengrößen  und  waren,  je

                          nachdem, neidisch oder stolz. Meine Zuckertüte hättet ihr


                          sehen  müssen!  Sie  war  bunt  wie  hundert  Ansichtskarten,

                          schwer  wie  ein  Kohleneimer  und  reichte  mit  bis  zur

                          Nasenspitze! Ich saß vergnügt auf meinen Platz und kam

                          mir vor wie ein Zuckertütenfürst.“                                     1



               Für  ganz  Deutschland  geht  man  davon  aus,  dass  sich  die


               Schultüte  (die  in  einigen  Teilen  Deutschlands  weiterhin

               Zuckertüte heißt) wohl erst im „Wirtschaftswunderdeutschland“

               der  50er  Jahre  durchgesetzt  hat.  Mittlerweile  ist  eine


               Einschulung  ohne  Schultüte  undenkbar.  Waren  die  ersten

               Schultüten oftmals liebevoll selbstgebastelt, werden mittlerweile

               fertig  produzierte  Schultüten  gekauft,  auf  denen  Kinderhelden


               wie  Lightning  McQueen  und  Marvel-  und  DC-Superhelden

               abgebildet  sind.  Auch  der  Inhalt  der  Schultüten  hat  sich  stark


               geändert:  Waren  bei  Erich  Kästner  in  der  Schultüte  noch

               „Bonbons,  Datteln,  Osterhasen,  Feigen,  Apfelsinen,  Törtchen,

                                                                                       2
               Waffeln  und  goldene  Maikäfer“  drin,  diskutieren  Väter  und

               Mütter  heute  auf  Elternblogs,  ob  ein  Smartphone  in  die

               Schultüte gehört. Leider ist damit die Schultüte auch häufig zum


               Statussymbol  geworden  und  Eltern  geraten  unter  Druck,  mit

               anderen Vätern und Müttern mithalten zu müssen.






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                  Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war. 20. Aufl. Zürich 1957, S. 89 f.

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                   Ebd., S. 91.
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